Knappes Getreide: EU kann Exportausfälle der Ukraine ausgleichen
Kein Anbau von Lebensmitteln für Tierfutter oder Biosprit
Der Krieg in der Ukraine verknappt das Angebot an Getreide und Pflanzenölen auf dem Weltmarkt. EU-Staaten könnten die Exportausfälle beim Weizen ausgleichen.
- Ein Artikel von Anja Franzenburg
- mitwirkende Expert:innen Stephanie Töwe
- Hintergrund
Die Ukraine ist der fünftgrößte Weizenexporteur der Welt. Etwa 16 Millionen Tonnen Getreide gehen jährlich über die Landesgrenze, meist Richtung Nordafrika und Naher Osten. Auch in Länder, in denen Menschen bereits vom Hunger bedroht sind. Fallen diese Lieferungen durch Putins Angriffskrieg weg, weil in der Ukraine nicht ausgesät, nicht geerntet werden kann und die Exportwege blockiert sind, droht ein weiterer Anstieg der jetzt schon hohen Weltmarktpreise. Das ist katastrophal für arme Länder, aber auch für Hilfsorganisationen, die Menschen – etwa im kriegsverwüsteten Jemen – mit Grundnahrungsmitteln unterstützen.
Deutschland baut ausreichend Getreide an, um sich selbst zu versorgen – auch wenn die Lücken beim Mehl in den Supermarktregalen einen anderen Eindruck erwecken. Doch das hat mit Hamstern und nicht mit Mangel zu tun. Mehr noch: Deutschland könnte bereits in diesem Jahr gemeinsam mit den anderen EU-Ländern nahezu komplett den Getreideexport aus der Ukraine kompensieren. Ohne dafür, wie vom Deutschen Bauernverband gefordert, die europäische Landwirtschaft zu intensivieren.
Mehr Erträge sind durch intensivere Landwirtschaft nicht zu erwarten
„Die europäischen Länder erzeugen auf ihren Äckern bereits Spitzenerträge, die sich kaum mehr steigern lassen“, erklärt Stephanie Töwe, Expertin für Landwirtschaft bei Greenpeace. „Noch intensiver zu wirtschaften, auf mehr Flächen Dünger und Pestizide einzusetzen, verschärft nur die ökologischen Probleme. Wer, wie der Deutsche Bauernverband, das Erreichen der Umweltziele im Agrarbereich jetzt zurückstellen will, um die Produktion zu steigern, zündet Nebelkerzen, um geschäftliche Interessen durchzusetzen.“
Auch auf EU-Ebene werden Stimmen lauter, mit der Farm-to-Fork-Strategie bereits beschlossene Vorgaben auszusetzen und aufzuweichen, die die konventionelle Landwirtschaft klimafreundlicher und somit zukunftsfähig machen sollen. Diese Ziele im Kampf gegen die Klimakatastrophe und das Artensterben aus dem Blick zu verlieren, birgt jedoch Risiken für die Landwirtschaft und die sichere Versorgung mit Lebensmitteln in der Zukunft, ohne dass jetzt nennenswerte zusätzliche Erträge zu erwarten wären. So ist es wenig hilfreich, wenn die EU-Kommission beabsichtigt, für den Naturschutz stillgelegte Flächen wieder landwirtschaftlich zu nutzen. Denn bei diesen Flächen handelt es sich vorrangig um Standorte, die nur ein geringes Ertragspotenzial haben. Für den Naturschutz jedoch sind sie bedeutsam: Sie speichern CO2 und bieten vielen Tier- und Pflanzenarten einen Rückzugsort.
„Tatsächlich ist die drohende Krise bei der Lebensmittelversorgung als Folge des schrecklichen Krieges in der Ukraine eine dringende Mahnung, die wir nicht überhören sollten“, sagt Stephanie Töwe. „Die Ernährungssicherheit hängt von funktionierenden Ökosystemen ab. Deshalb ist Naturschutz kein Luxus. Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, was Ernteausfälle bedeuten, die künftig durch die Klimakrise immer häufiger und immer heftiger werden könnten, wenn wir das 1,5 Grad-Klimaziel nicht erreichen.“
EU kann zur Ernährungssicherung beitragen
Europa kann seinen Beitrag zur globalen Ernährungssicherung leisten, ohne wichtige Klima- und Umweltziele zu opfern. Greenpeace schlägt drei Maßnahmen vor:
- backfähigen Weizen nicht länger als Tierfutter einsetzen
- den Anbau von Energiepflanzen für sogenannten Biosprit abschaffen
- die Verschwendung von Lebensmitteln stoppen
Weizen für Brot statt Tierfutter
Die EU produziert jährlich 160 Millionen Tonnen Getreide für die Fütterung von Tieren in der Landwirtschaft. Würden nur zehn Prozent weniger Tiere gehalten und gefüttert, wäre das ausreichend, um einen erheblichen Teil der zu erwartenden Exportausfälle ausgleichen zu können. Denn die Ukraine führte in den vergangenen Jahren zwischen 16 und 20 Millionen Tonnen aus. „Dafür müsste die EU eine gewisse Anzahl an Ställen bewusst leer stehen lassen“, sagt Töwe. „Oder insgesamt weniger Tiere einstallen. Die betroffenen Landwirt:innen müssten dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten.“ Das würde auch die übervollen Märkte für Schweine- und Geflügelfleisch entlasten.
In Deutschland ließen sich 80 Prozent des angebauten Weizens für die Ernährung etwa zum Brotbacken verwenden. 60 Prozent der gesamten Ernte, 25 Millionen Tonnen, landen jedoch im Futtertrog von Tieren, weitere 8,9 Prozent werden zu Biokraftstoffen verarbeitet. Lediglich 20,1 Prozent der Weizenernte dienen der Erzeugung von Lebensmitteln.
„Backfähigen Weizen in den Futtertrog zu kippen, ist angesichts der internationalen Lage nicht länger zu verantworten“, sagt Töwe. Auch unabhängig vom Krieg in der Ukraine ist die Lage für viele Menschen dramatisch. Weltweit hungern 811 Millionen. Kriege in anderen Teilen der Welt, eine Pandemie, die Lieferketten unterbrochen hat, aber auch Ernteausfälle durch Dürre aufgrund der Erderhitzung, haben die Getreidepreise bereits in den vergangenen Monaten in die Höhe getrieben.
Weniger Fleisch würde Ernährung gut tun
Hinzu kommt, dass wesentlich mehr Energie ins Tier gegeben werden muss, als am Ende seines Lebens als Nahrung herauskommt: Um etwa eine Kalorie Schweinefleisch zu erzeugen, müssen drei pflanzliche Kalorien verfüttert werden. Die Fläche für Tierfutter ließe sich also zur Versorgung der Weltbevölkerung effizienter nutzen, wenn dort Pflanzen wie Kartoffeln oder Getreide für Brot angebaut würde.
Auch gesundheitlich käme weniger Fleisch den Menschen insbesondere in den reichen Ländern zugute: So verspeisen Konsument:innen in Deutschland pro Kopf im Schnitt doppelt so viel Fleisch wie gesundheitlich empfehlenswert wäre. Und schließlich hat der überbordende Appetit auf Fleisch zu einer grausamen industrialisierten Tierhaltung geführt, die nur noch abgeschirmt hinter verschlossenen Stalltüren stattfindet. Auch hier müssen wir uns fragen, ob wir weiter so Nahrungsmittel produzieren wollen.
Essen auf den Tisch und nicht als Biosprit in den Tank
Neben Futter- konkurrieren auch Energiepflanzen auf dem Acker mit dem Anbau von Lebensmitteln. Getreide und Ölfrüchte werden zu Biosprit verarbeitet: Zwei Drittel der Rapsernte oder zwölf Liter Rapsöl pro Kopf und Jahr enden in Deutschland als Beimischung zu Benzin und Diesel in den Tanks von Autos mit Verbrennungsmotor. Damit könnte rund zwei Drittel des Pro-Kopf-Verbrauchs von Speiseöl gedeckt werden. Statt Rapsöl weiter zu verfeuern, sollte der wertvolle Agrarrohstoff eingesetzt werden, um knapper werdendes Sonnenblumenöl zu ersetzen. Denn neben Weizen führt die Ukraine im wesentlichen Sonnenblumenöl aus – und auch hier sind deutliche Einbrüche bei den Exportmengen zu erwarten.
Doch warum kippen wir überhaupt Lebensmittel in den Tank? Ursprünglich sollte die Beimischung von Biokraftstoffen den Verkehr ein wenig klimafreundlicher machen, indem Pflanzenöle und Getreideethanol einen Teil des zu Benzin und Diesel verarbeiteten Erdöls ersetzen. Doch inzwischen ist klar, dass die Klimabilanz mit der massiven Ausdehnung der Anbauflächen deutlich negativ ausfällt. Das gilt insbesondere, wenn die indirekten Emissionen berücksichtigt werden, die etwa entstehen, wenn Flächen für die Biokraftstoffproduktion erschlossen und dabei andere landwirtschaftliche Aktivitäten verdrängt werden. So weichen Rinderzüchter in Brasilien in Waldgebiete aus, weil ihre vorherigen Weidegebiete als neue Anbauflächen für Soja und Zuckerrohr für die Biokraftstoffproduktion genutzt werden.
Wir dürfen die planetaren Grenzen nicht überschreiten, wenn wir auf der Erde auch in Zukunft auskömmlich leben wollen. Die landwirtschaftliche Fläche lässt sich nicht ohne gravierende Konsequenzen noch weiter ausdehnen. Es muss daher Schluss sein mit Biokrafstoffen aus Pflanzen und Getreide. Dennoch darf der Verbrauch fossiler Kraftstoffe nicht weiter ansteigen: Die EU muss ab 2028 die Neuzulassung von Verbrennern stoppen und ihren Bürger:innen bessere Alternativen zum Auto anbieten. Bis dahin kann sich aber auch jeder und jede Einzelne jeden Tag aufs Neue entscheiden: Brauche ich das Auto für die nächste Fahrt – insbesondere in der Stadt? Und auch mit einem persönlichen Tempolimit, das die Ampel-Koalition bislang als Regel für alle nicht hinbekommt, ließe sich der Ölverbrauch drosseln.
Verschwendung von Lebensmitteln stoppen: vom Acker bis zum Teller
Auch bei Lebensmitteln kann das Konsumverhalten einen Unterschied machen: Wenn wir weniger Fleisch essen, ist das nicht nur gesünder. Wir tragen auch dazu bei, die Klimaemissionen aus der Landwirtschaft zu senken und die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln weltweit zu sichern.
Und wir sollten auf einen sorgsamen Umgang mit den erzeugten Lebensmitteln achten: In Deutschland landen pro Jahr etwa 12 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Zum verschwenderischen Umgang gehören die im Restaurant nicht mitgenommenen Essensreste ebenso wie der im Kühlschrank vergessene Joghurt. Die EU sollte durch klare Vorgaben entlang der Wertschöpfungskette dazu beitragen, dass weniger Essbares vernichtet wird. So könnte ein Herstellungsdatum das Mindesthaltbarkeitsdatum ersetzen, das Verbraucher:innen verleitet, zum Verzehr noch gut geeignete Lebensmittel vorzeitig wegzuschmeißen.
„Wenn wir in den reichen Länder wirklich zur Ernährungssicherheit beitragen wollen“, so Töwe, „sollten wir weniger Lebensmittel in den Müll werfen und den Weizen, den wir ernten, hungernden Menschen zur Verfügung stellen, statt ihn an Tieren zu verfüttern oder unsere Autotanks damit zu füllen.“